2308 01.09.2023

«SIA 2057:2021 Glasbau» und deren Auswirkungen im Fensterbau

Seit dem 01. August 2021 ist in der Schweiz das Merkblatt «SIA 2057:2021 Glasbau» für die Projektierung von Tragwerken und Bauteilen aus Glas anzuwenden. Ein vergleichbares Dokument hat in der Schweizer Normenlandschaft bisher nicht existiert.

Das Merkblatt ist grundsätzlich begrüssenswert, da somit auch in der Schweiz ein auf die 260er Normenreihe abgestimmte Bemessungsgrundlage für Glasbauteile existiert. Unseres Erachtens geht die Schweiz im Vergleich mit dem benachbarten Ausland auch bei diesem Werk einen vernünftigen Weg mit einem gewissen planerischen Spielraum.

Obwohl das Merkblatt nun seit mehr als zwei Jahren Gültigkeit hat, stellen wir fest, dass das Dokument bei Planern und Unternehmern nicht breit bekannt ist und dementsprechend bei Fensterprojekten auch keine grosse Beachtung findet. Wir nehmen dies zum Anlass auf einen besonderen Punkt im Kontext Fensterbau aufmerksam zu machen.

Linienförmige Lagerung von Isolierglas

Gemäss Art. 4.2.1. der SIA 2057 dürfen Glasauflager (also z.B. Flügel- oder Rahmenprofile) nur dann als eben betrachtet werden, wenn deren Durchbiegung im «seltenen Lastfall» (also z.B. bei Windeinwirkung) nicht mehr als 1/200 der aufgelagerten Scheibenlänge beträgt.

Dies entspricht im Grundsatz bezüglich der Durchbiegungsbegrenzung auch den Vorgaben aus der SIA-Norm 331:2012 (Fenster und Türen). Vgl.:

  • 2.2.4 Die maximale Durchbiegung von Fensterprofilen (Flügel und Rahmen) beträgt L/200. Für die charakteristische Windlast ist der Reduktionsbeiwert Ψ0 = 0,6 gemäss SIA 260 anzuwenden.
  • 4.3.2 Die maximale Durchbiegung für Mehrscheiben-Isolierglas wird entlang der einzelnen Glaskanten auf L/200 bzw.; 15 mm begrenzt.

Jedoch kann der oben fett hinterlegte Passus im Kontext des Tragsicherheits- und Gebrauchstauglichkeitsnachweises von Glasbauteilen, sprich auch von Mehrscheibenisolierglas, nicht angewendet werden. Dies, da das Merkblatt SIA 2057 vorgibt, dass die entsprechenden Nachweise gemäss SIA 260 durchgeführt werden müssen.

  • 2.5.1.1 Tragwerksanalyse und Bemessung sind gemäss SIA 260 vorzunehmen.

Das bedeutet, dass die veränderliche Leiteinwirkung (in unserem Falle die Windlast)

ohne Reduktionsbeiwert angesetzt werden muss (Vgl. SIA 260:2013 / 4.4.3.4).

Diese Situation erzeugt ein nicht unerhebliches Spannungsfeld, welches es in der Praxis zu berücksichtigen gilt. Dazu gibt es drei Lösungsansätze:

  1. Die Durchbiegungsnachweise für Fensterprofile werden – falls mit Glas ausgefacht – grundsätzlich nach SIA 260 und ohne Berücksichtigung des in der SIA 331:2012 festgelegten Reduktionsbeiwerts von 0.6 (für die Leiteinwirkung) erstellt. Daraus resultieren am Ende des Tages situationsbedingt grössere Profilquerschnitte oder kleinere Spannweiten, um den sogenannten L/200 der Auflagerkante einzuhalten.
  1. Die Fensterprofile werden nach wie vor nach den Vorgaben der SIA331:2012 dimensioniert. Anschliessend muss die Durchbiegung der Profile ohne Reduktionsbeiwert auf der Leiteinwirkung ermittelt werden. Wenn daraus eine Profildurchbiegung von > L/200 der Auflagerkante resultiert, ist dies in der Glasbemessung entsprechend zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung einer Auflagerdurchbiegung von > L/200 kann wie folgt erfolgen:
    a) über eine Betrachtung des Elements als zweiseitig gehaltene Konstruktion
    b) oder dadurch, dass die ermittelte Profildurchbiegung als entsprechende Verformungsgrenze der Auflagerkante effektiv berücksichtigt wird.                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Beide genannten Szenarien haben Auswirkungen auf den Aufbau der Isoliergläser zur Folge. D.h. es resultieren dickere Floatgläser und/oder es wird der Einsatz von vorgespanntem Glas notwendig.
  1. Die Ausfachungsfläche wird (z.B. in der Höhe mittels Kämpfer) unterteilt. So reduziert sich die Länge der Glasauflager bei gleichbleibender Pfostenhöhe. Für die Ermittlung der Auflagerdurchbiegung wird in diesem Fall nach Ziff. 1 vorgegangen, während die reine Pfostendurchbiegung (z.B. Setzstück) weiterhin nach SIA 331:2012 ermittelt werden kann.

Gemäss obigen Ausführungen gilt es dieses Thema wohlüberlegt und in früher Projektphase anzugehen. Dies, um nicht nur den statischen, sondern auch den wirtschaftlichen Projektanforderungen gerecht zu werden.

Um dieses nicht ganz einfache Thema etwas greifbarer zu machen, werden wir dies in den nächsten News mit einigen Beispielen vertieft erläutern.

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